BZ 03.11.10: Arbeitslosigkeit, Armut, Alter
Arbeitslosigkeit, Armut, Alter
Einst war Nadrag eine blühende Industriestadt, heute prägen Arbeitslosigkeit und Not den Alltag.
von Martin Reiter
Eine etwas holprige Landstraße durchschlängelt die lebhaften Herbstfarben von unterschiedlichsten Braun-Rotnuancen mit Goldakzenten, ab und zu ergänzt vom lebhaften Frühlingsgrün der ewigen Nadelbäume. Sie bilden die Waldlandschaft, die den Besucher willkommen heißen, der sich der sich der Temescher Berglandortschaft Nadrag/Nadrag nähert. Sobald man in Nadrag eingetroffen ist, ist aber das malerische Herbstbild im Nu vergessen. Die grauen Bauten, die das stillgelegte Hüttenwerk, vor der Wende noch der größte Arbeitgeber im Ort beherbergten, verweisen schon auf das traurige Schicksal des einst blühenden Industriestädtchens. Die auf beiden Seiten sich aus dem Boden quetschenden niedrigen Häuser und, weiter aufwärts, die zwei-, drei-, viergeschossigen Wohnblocks, wo eine bereits ziemlich überalterte Bevölkerung lebt, lassen an allen Ecken die Not durchblicken. Selbst der Cornet-Bach, der die Bergortschaft durchfließt, widerspiegelt die Farben des Elends hier in Nadrag: dunkelgrau, schwarz. Nicht einmal das rot angestrichene Gebäude, wo das Bürgermeisteramt mit dem Kommunalrat untergebracht sind, kann die bedrückende Atmosphäre aufleben lassen. Überall riecht es nach Armut. Arbeitslosigkeit und Not haben seit zwei Jahrzehnten von Nadrag Besitz ergriffen und wollen auch scheinbar auch in Zukunft von ihrer Beute nicht lassen.
Den 2913 beim Bürgermeisteramt registrierten Bewohnern von Nadrag stehen kaum Arbeitsplätze zur Verfügung. Laut Übersichten des Bürgermeisteramtes sind bei den staatlichen und privaten Einrichtungen ungefähr 400 Personen beschäftigt, wobei die Anzahl der eingetragenen Rentner bei 702 und der Arbeitslosen bei 80 liegt. Auf der Suche nach Arbeit, sind die Erwachsenen größtenteils in die Städte Lugosch/Lugoj und Temeswar/Timisoara oder ins Ausland gezogen. „Nach Spanien und Deutschland“, so der römisch-katholische Ortspfarrer Josef Holschwander kopfschüttelnd. Der Seelsorger erlebt die Wirklichkeit hautnah. Er erwähnt auch die vielen leerstehenden Häuser, die die Einheimischen vor ihrem Umzug an Stadtmenschen verkaufen. Ihre neue Rolle: Wochenend- oder Ferienhäuser. „Wenn es so weiter geht, wird es nur noch alte Leute in Nadrag geben“, meint der Geistliche besorgt, „und Wochenendler“.
Münsteraner helfen in Nadrag
Rund 55.000 Euro spendeten die Mitglieder der Interessengemeinschaft „Hilfe für Nadrag“ aus Münster (Deutschland) für die Seniorensuppenküche in Nadrag im Laufe der vergangenen sieben Jahre. Über die Seniorensuppenküche, eine Sozialeinrichtung der Diözesancaritas Temeswar, bekommen derzeit 40 arme, alte und kranke Menschen mit geringen Renten täglich, von montags bis freitags, eine warme Mahlzeit. Am Anfang zählte die Suppenküche 15 Begünstigte und die Interessengemeinschaft ebenso viele Mitglieder, erinnert sich Bernhard Balsliemke, der Gründer der Interessengemeinschaft „Hilfe für Nadrag“. Wenn der Spendenbetrag zu Beginn bei 4000 Euro im Jahr lag, so kommt er nun auf 14.000 Euro für die 40 über die Suppenküche verköstigten Bedürftigen. Die Beiträge der zurzeit 31 festen Mitglieder der Interessengemeinschaft decken aber die Betriebskosten der Sozialeinrichtung nicht. Dafür sind noch jährlich drei-vier Vorträge und Spendenaufrufe nötig, die Balsliemke für die 40 Nutznießer gerne übernimmt. Weihnachtspäckchen für die Senioren, aber auch für die 37 Kinder in Nadrag, die über die Caritas-Tagesstätte ebenda betreut werden, gehören ebenso zu den jährlichen Hilfsaktionen der Interessengemeinschaft.
Im Zimmer von der Größe einer Abstellkammer
Eva Gabriel ist eine der 40 Begünstigten der Seniorensuppenküche in Nadrag. Die 72-Jährige wohnt allein in einer winzigen Einzimmerwohnung in den dreigeschossigen Wohnblocks. Aus einem klitzekleinen Vorraum fällt man fast geradeaus ins Zimmer ein. Im Vorraum rechts eine Tür, die zur Toilette mit Waschbecken führt. Eine Badewanne war hier überhaupt nie eingeplant. Die alte Frau gibt sich aber zufrieden damit.
Im Zimmer angelangt, können kaum zwei Personen im keine acht Quadratmeter großen Zimmer bequem aufrecht stehen. Auf der einen Zimmerseite reiht sich das Bett und ein Herd aneinander, auf der anderen Seite ein etwas höherer Schrank und daneben ein niedrigeres Möbelstück. Hiermit ist das Zimmer schon zum Überfluss ausgestattet. Man kann sich nur mühsam umdrehen, was für die alte, füllige Frau sicher keine Leichtigkeit ist. Sie beklagt sich aber nicht, lächelt nur resigniert. Ihre einzige Beschwerde: die großen Beinschmerzen. Sie versucht, genügend Bewegung zu machen und besucht die eine oder andere Nachbarin im Haus. Die Kälte und die Feuchtigkeit, die in der Stube der Alten herrschen, sind auch keine Hilfe für ihren Rheumatismus. Die Frau hat keinen Ofen. Den Raum beheizt sie mit dem Gasherd. Offene Flamme. „Wenn die Gasflasche leer ist, kaufe ich eine neue“, sagt sie lächelnd. Lebenslang war sie Hausfrau gewesen, hat aber im Garten und in der Landwirtschaft gearbeitet, war aber nie legal angestellt gewesen. Auch heute ist sie noch recht aktiv und verpflegt sich selbst, nach Möglichkeit. Unlängst legte sie Gemüse für den Winter ein und weist stolz auf ein paar Einweckgläser mit grünen Tomaten und rotem Paprika auf einem Schrank im Vorraum – alles was sie sich leisten konnte. Mit etwa 400 Lei, einer Hinterbliebenenrente, die ihr nach dem Ableben des zweiten Ehemanns zugeteilt wurde, muss sie monatlich auskommen. Sie wohnt allein und hat in Nadrag keine Angehörigen mehr.
Die zweifach verwitwete Frau hat aus der ersten Ehe drei Kinder: ihrem älteren Sohn in Rachita, wo sie selbst auch geboren ist und mit ihrem ersten Mann gelebt hat, fehlen beide Hände und das rechte Bein vom Knie abwärts. Ihre zwei Töchter leben in Fârdea bei Faget bzw. in Oltenien. Besucht wird sie ab und zu von der Tochter aus Fârdea. Zwei Enkelinnen hat sie auch, in Oltenien. Beide lernen und studieren, Der Weg ist weit und es kostet auch viel, rechtfertigt die Alte die seltenen Besuche ihrer Enkelinnen, während sie mich zur Wohnungstür begleitet. Ich bin froh, wieder draußen in der warmen Luft zu sein, um meine inzwischen kalt gewordenen Hände aufzuwärmen.
Russlanddeportation und Alleinsein im hohen Alter
Eine weitere Seniorin, die über die Suppenküche mit einer warmen Mahlzeit versorgt wird, ist Aurelia Esterle, eine 89-jährige Deutsche. Die Frau lebt allein in einer Sommerküche, denn das gegenüber liegende kleine Haus kann sie nicht mehr instand halten. An den Wänden sind die in einem deutschen Haushalt üblichen Wandschoner angebracht. „Ein Kuss in Ehren kann niemand nicht wehren“, ist auf dem einen zu lesen, die anderen hingegen sind nur mit Pflanzen-, Tier- und anthropomorphen Motiven verziert. Keine Sprüche. In der peinlich sauber gehaltenen Stube isst und schläft die alte Frau. Sie bewegt sich nur mühsam, auf zwei Stöcke gestützt, in den Hof, wo sich die Toilette befindet.
Die fast 90-Jährige ist seit mehreren Jahren Witwe und lebt allein. Ihr einziger Sohn, der mit seiner Frau in Nadrag wohnt, starb in diesem Sommer. Ihn überlebten noch zwei Söhne, die aber ihre Großmutter seit Jahren nicht mehr aufsuchten. Vollkommen vernachlässigt von der eigenen Familie wird die alte Frau nur von einem jungen Mann, der ihr täglich das Mittagessen bringt, besucht. Er ist ein ehemaliges Waisenkind, der nach Entlassung aus dem Kinderheim in Gawoschdia/Gavojdia (Kreis Temesch), nach Nadrag kam. Die alte Frau bot ihm eine Unterkunft in ihrem Haus an, seitdem kümmert der Fremde sich um die Alte. Auch Pfarrer Holschwander schaut vorbei, so oft er kann. Um sich mit ihr zu verständigen, muss man sie recht laut ansprechen, denn sie hört kaum noch.
Auf ihr Leben zurückblickend kommt ein schweres Los hervor: 1945 wurde sie als junge Mutter nach Russland verschleppt. Ihren kleinen Sohn überließ sie ihrer Schwester, die selbst vier Kinder hatte. Sie trennte sich von ihrem Jungen, mit der Begründung, sie müsste mal schnell in die naheliegende Stadt Lugosch fahren und mit dem Versprechen, ihn am Abend von der Tante wieder abzuholen. Das geschah auch, aber erst fünf Jahre später, als sie aus dem Arbeitslager in Wolodorka entlassen wurde. Tränen laufen aus ihren traurigen hellblauen Augen, während sie über ihre Russlanddeportation spricht. Ackerflächen eggen stand auf der Tagesordnung. Sie musste acht Stunden täglich hart arbeiten und bekam dafür nicht einmal ein Stück Brot. Manchmal bestand die Mahlzeit aus einem Stück Brot und einer Brühe, die sie darüber gossen, um etwas im Magen haben, schildert die Alte.
Im hohen Alter leidet sie nun an unzähligen Krankheiten. Sie nimmt hoffnungslos eine Tüte voller Medikamente in die Hand: nichts hilft mehr, meint sie dazu. Gehörgeschädigt, Lungen- und Nierenleiden, Rheuma und andere körperliche Beschwerden plagen die kleine zerbrechliche Gestalt der Alten. Jeder Besuch ist ihr eine Freude. Ihr Gesicht erhellt sich beim Anblick von Menschen, die über ihre Türschwelle hereinschreiten. Deshalb sieht sie auch unserem Abschied mit Tränen in den Augen entgegen. Zum Schluss bedankt sie sich für den Besuch. Etwas glücklicher.
Quelle: http://banaterzeitungonline.wordpress.com/2010/11/03/arbeitslosigkeit-armut-alter/
WN 14.09.10: 1870 Euro für Sarita und Senioren
1870 Euro für Sarita und Senioren
Metelen – Das hat sich gelohnt: 1870 Euro sind beim Spendenlauf der Droste-Hülshoff-Schüler im Juni zusammengekommen. Die Schüler hatten dieses Mal nicht die Metelener Firmen um Unterstützung gebeten, sondern sich ihre Sponsoren in der Nachbarschaft und in ihren Familien gesucht. Den Erlös haben sie geteilt: Die Hälfte des Betrags fließt in neues Geschirr für die modernisierte Schulküche (wir berichteten). Mit einem Viertel unterstützt die Schule ihr Patenkind. Von den 450 Euro wird die zehnjährige Sarita im Anden-Hochland für rund ein Jahr und vier Monate versorgt, ihre Schulbildung gesichert. Seit dem Frühjahr dieses Jahres unterstützt die Schule das Mädchen.
Die übrigen 450 Euro nahm gestern Bernhard Balsliemke aus Münster aus den Händen von Spendenlauf-Organisator Jürgen Stratmann entgegen. Er hat im Jahr 2003 die Interessengemeinschaft „Hilfe für Nadrag“ gegründet, die eine Suppenküche für bedürftige Senioren in dem rumänischen Dorf betreibt. „Davon können wir einen Senior eineinhalb Jahre lang fünf Mal in der Woche mit einem warmen Mittagessen versorgen“, erklärte er. Die alten Menschen in Nadrag sind häufig auf sich allein gestellt, weil die meisten Jüngeren das Dorf verlassen haben. „Von 2000 Bewohnern sind 1200 im Rentenalter“, machte Balsliemke während seines Besuches in der Hauptschule deutlich. Er hatte in den 90er Jahren in Rumänien Urlaub gemacht, die Not vor Ort gesehen und sich entschlossen, etwas zu unternehmen. Der Kontakt zu den Helfern war über die Sozialarbeiterin der Schule, Stephanie Dietrich, zustande gekommen.
VON LINDA BRAUNSCHWEIG (WN, 14.09.10)
WN 10.09.09: In Nadrag trifft die Krise die Alten und Kinder
MZ 03.09.09: In der EU – und doch völlig verarmt
WN 10.06.09: Marmelade hilft im Bergdorf Nadrag
Marmelade hilft im Bergdorf Nadrag
Metelen. Im Rahmen der Projekttage an der Metelener Droste-Hülshoff- Hauptschule (DHS) widmete sich eine der Projektgruppen mit viel Fleiß und guter Laune dem Marmeladekochen. Die leckeren Ergebnisse wurden anschließend auf dem Schulfest verkauft. Der Erlös dieser Aktion, die in Kooperation mit dem Jugendtreff Chilly stattfand und 274 Euro einbrachte, wurde nun an Bernhard Balsliemke übergeben.
Er ist Initiator der Interessengemeinschaft „Hilfe für Nadrag“. Das Geld wird zur Unterstützung einer Suppenküche für Kinder und Senioren in Nadrag, einem Bergdorf in Westrumänien eingesetzt. Die Arbeitslosigkeit in Nadrag liegt bei 90 Prozent. Wer die Möglichkeit hatte, verließ das Dorf. Heute leben von ehemals 3600 Einwohnern noch 2000 in dem Ort, davon sind allein 1200 Senioren. Die geringen Renten reichen bei weitem nicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Die von Bernhard Balsliemke ins Leben gerufene Suppenküche unterstützt besonders bedürftige Personen mit einer warmen Mahlzeit pro Tag. Die Kinder können in der Sozialstation essen, ihre Hausaufgaben machen und werden dort betreut. Auch Kleiderspenden werden verteilt, in der Hoffnung die zunehmende Verwahrlosung der Kinder aufzuhalten. Balsliemke sicherte zu, dass alle Gelder in die Suppenküche fließen werden, und nichts für Verwaltungsaufgaben ausgegeben wird. Diese und auch die Kosten für die mehrmals jährlich stattfindenden Reisen in die Region trägt er selbst. „Mir ist es wichtig, dass alle gespendeten Gelder in das Hilfsprojekt fließen. Davon überzeuge ich mich mehrmals pro Jahr persönlich vor Ort“ betonte Balsliemke.
VON ANDREAS JOOST (WN, 10.06.09)
MZ 26.12.08: Coerderaner hilft in Rumänien
Coerderaner hilft in Rumänien
COERDE Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel: „In Rumänien sagt man dazu `Es reicht nicht fürs kalte Wasser`“, sagt Bernhard Balsliemke. Das treffe vor allem für viele bedürftige Senioren im rumänischen Ort Nadrag zu. Deshalb unterstützt der Coerder Bürger dort seit fünf Jahren eine Senioren-Suppenküche.
„Anfangs konnten wir 15 Senioren eine warme Mahlzeit pro Tag anbieten“, sagt Balsliemke. Derzeit seien es schon 29 Senioren. Dieser Erfolg wurde auch auf der Jubiläumsfeier in Nadrag gewürdigt. Dort traf Balsliemke auch auf Bürgermeister Liviu Muntean und Caritas-Geschäftsführer Herbert Grün zusammen. „Die Armut gerade der älteren Menschen macht mich einfach betroffen“, sagt er. Da könne und wolle er nicht die Augen verschließen, sondern etwas tun. Deshalb gründete er die Privatinitiative „Hilfe für Nadrag“, die hauptsächlich eine Suppenküche für bedürftige Senioren in der Caritas-Sozialstation in Nadrag finanziert. Die Interessengemeinschaft (IG) hat zur Zeit 30 Mitglieder, die mit ihren Beiträgen sowie Einzelspenden die Suppenküche finanzieren. Unter den Empfängern sind zum Beispiel sehr viele ältere Witwen, die nach dem Tod ihrer Männer mit einer Nachkommen-Rente auskommen müssen. „Doch diese niedrigen Renten, die fortwährend an Wert verlieren, reichen meist nicht, um davon leben zu können“, weiß Balsliemke. Leider gebe es auch kein soziales Netz, das sie auffangen könnte.
„Ich bin auch schon in einigen Wohnungen von diesen notleidenden Senioren gewesen“, sagt Balsliemke. Diese seien nahezu alle heruntergekommen und oft sei nur ein Raum beheizt. „Viele Rentner sterben an den Folgen einer einseitigen Ernährung.“ Sie würden schlicht zu viel Weißbrot, essen, da es sehr günstig ist. Da sei es nicht verwunderlich, wenn sie sehr anfällig für Krankheiten seien. Das regelmäßige Treffen und der Kontakt mit anderen Menschen würde den Senioren aber auch helfen, nicht zu vereinsamen. Etwa drei Mal im Jahr fährt Balsliemke inzwischen nach Nadrag in Westrumänien. Das ist ein ehemaliger Industriestandort in den Banater Bergen, der wirtschaftlich am Boden liegt und mit Armut und Arbeitslosigkeit kämpfen muss. Dies hat zur Folge, dass vor allem die Jüngeren abwandern: Von den ehemals 3600 Einwohnern sind noch 2000 in Nadrag verblieben. „Davon sind etwa 1200 Senioren.“ Derzeit profitieren 29 Senioren von der IG, allerdings bestünde noch weit mehr Bedarf. „Wir würden gerne noch drauflegen“, sagt Balsliemke. Dazu fehlen ihnen bisher die Mittel Mehr Informationen bei Bernhard Balsliemke unter Telefon 02 51/23 26 48.
VON LAYA MOGHADDAM (MZ, 26.12.2008)
BZ 12.11.08: Fünf Jahre Senioren-Suppenküche
WN 07.08.08: Dürre und Ölpreis sorgen für noch mehr Hunger
MZ 09.07.08: Helfer brauchen Hilfe
Helfer brauchen Hilfe
COERDE „Es reicht nicht fürs kalte Wasser.“ So lautet eine Redewendung in Rumänien. In Deutschland würde man sagen: „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.“
Vor allem in Nadrag, einem 2500-Einwohner-Ort in Westrumänien, reicht es nicht fürs kalte Wasser. Nadrag ist ein Ort, der von jeglichem Wirtschaftsaufschwung abgeschnitten ist. 90 Prozent der erwerbsfähigen Personen sind hier arbeitslos, seitdem das Stahlwerk, in dem 1300 Menschen Arbeit gefunden hatten, vor zehn Jahren geschlossen wurde. In Nadrag kämpfen vor allem die älteren Mitbürger buchstäblich um ihr Überleben. Seit fünf Jahren versucht die Interessengemeinschaft „Hilfe für Nadrag“, den ärmsten unter Nadrags Senioren zu helfen. Der Münsteraner Bernhard Balsliemke hat die IG gegründet, nachdem er im Jahr 2001 zum ersten Mal in dem rumänischen Ort mit der Armut konfrontiert wurde: „Wir wollen den Ärmsten der Armen einen würdigen Lebensabend ermöglichen.“ Ein würdiger Lebensabend. Darunter stellt man sich in Deutschland sicherlich etwas anderes vor als in Nadrag. Hier bekommen 29 vorwiegend ältere und kranke Menschen in der Senioren-Suppenküche an fünf Tagen die Woche ein warmes Mittagessen. Längst keine Selbstverständlichkeit in Nadrag, denn die Lebensmittelpreise sind auch hier in den letzten Monaten rasant angestiegen. So kosten etwa 500 Gramm Margarine umgerechnet 1,20 Euro. In Deutschland derzeit etwa 80 Cent. Ein Pfund Mehl ist in Nadrag nur einen Cent billiger als hierzulande zu haben. Bei den üblichen Mini-Renten (umgerechnet oft im zweistelligen Eurobereich), mit denen einige Senioren in Nadrag auskommen müssen, sind Grundnahrungsmittel mittlerweile Luxusgüter. Wenn es nach dem tatsächlichen Bedarf ginge, müssten in der Senioren-Suppenküche eigentlich 50 Menschen verköstigen werden. „Diese Zahl hat mir der Bürgermeister von Nadrag bestätigt“, sagt Balsliemke. Aber das Geld der IG reicht dafür hinten und vorne nicht. Zwei, drei Mal im Jahr fährt Balsliemke nach Nadrag. Dort trifft er sich mit Herbert Grün, dem Leiter der Caritas-Sozialstation, in der die Senioren-Suppenküche beheimatet ist. Das nackte Elend bekommt Balsliemke in Nadrag aber nicht nur bei Senioren zu sehen, sondern zum Teil auch in Familien. Verwahrloste Kinder, schimmelnde Wände, abgestellte Heizungen. Hoffnung auf Besserung gibt es hier schon lange nicht mehr. Finanziert wird die Interessengemeinschaft ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge. „Jeder bestimmt selbst, wie viel er zahlen möchte“, sagt Balsliemke. Doch gerade in der letzten Zeit ist durch steigende Preise bei Lebensmitteln, Energie und Lohnkosten auch die IG in eine finanzielle Schieflage geraten: 7500 Euro kommen im Jahr an Mitgliedsbeiträgen rein. 10 000 Euro braucht die Senioren- Suppenküche, um die 29 Senioren fünf Mal in der Woche mit einem Mittagessen zu versorgen. Bernhard Balsliemke: „Wir knabbern an der Reserve. Das geht nicht auf Dauer.“ Für Balsliemke und die Interessengemeinschaft gibt es nur einen Ausweg: „Wir brauchen neue Leute!“ Informationen zur Interessengemeinschaft gibt es bei Bernhard Balsliemke unter Telefon 0251/232648. Spendenbescheinigungen werden auf Wunsch ausgestellt.
VON BERTHOLD FEHMER (MZ, 09.07.08)